Sonntag, 2. Januar 2011

Pseudonymität und das Wesen des Netzes V: Pensieve

Ein weiterer Grund für Nicknames resultiert aus der spezifischen Funktion eines Blogs. Bekanntlich handelt es sich um die Abkürzung von "Weblog", also frei übersetzt: Internet-Tagebuch. In ein Tagebuch schreibt man jedoch andere Gedanken als etwa in einen Leserbrief, schon alleine deshalb, weil man eine ganz andere Zielgruppe und Zielrichtung hat. Hinzu kommt, daß Leserbriefe oder andere Veröffentlichungen normalerweise noch mindestens durch eine Lektoratsphase gehen. Ein Leserbrief steht fast immer (wenn er nicht als Kuriosum abgedruckt wird) repräsentativ für eine nennenswerte Anzahl von Einsendungen, auf jeden Fall hat er die Hürde des "Gatekeepers" Redaktion genommen, und ein (seriöser) Verlag wird nur die Bücher veröffentlichen, hinter denen er (oder ein Herausgeber) auch stehen kann.

Im Gegensatz dazu muß ein Blogposting keinen "Gatekeeper" überwinden, sondern kann alle -- ausgereiften und unausgereiften -- Gedanken seines Betreibers enthalten. Zumindest für mich kann ich sagen: Die Blogeinträge sind vergleichsweise unausgereift, selbst die längsten haben nicht einmal annähernd die Zeit gekostet, die ich in andere Veröffentlichungen stecken würde, selbst Leserbriefe müssen durchdachter sein. Für mich erfüllt mein Blog eher eine "Pensieve"-Funktion ("Denkarium, für die, die Harry Potter nur auf deutsch kennen): Eine Abladestelle für meine Gedanken, die noch reifen müssen, die ich jederzeit wieder ausbuddeln und weiterführen kann (wobei das Reifen meist schon im Schreibprozess stattfindet und das eine oder andere Posting nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, zumindest nicht als Blogeintrag), und damit hat ein Blog für seinen Betreiber (zumindest für mich) auch eine psychohygienische Wirkung.

Im Gegensatz zu einem Tagebuch (das ja eine ähnliche Funktion wie ein Pensieve erfüllt) haben Blogpostings aber den Vorteil, Feedback zu bekommen, angenehmerweise meist auch von solchen Leuten, die eine ähnliche Meinung vertreten, also nicht jede Argumentationsschwäche gnadenlos ausnutzen, sondern konstruktiv kritisieren können. (Na gut, ein bißchen stimmt das mit der Lobhudelei ja auch, manchmal könnten die Kommentare schon kritischer sein...) So oder so macht man sich mit dem Betreiben eines Blogs angreifbar, zumindest wenn man ihn als persönliches Blog betreibt und nicht zu journalistischen Zwecken oder zur Öffentlichkeitsarbeit betreibt -- wobei auch der persönlichste Blog immer noch nicht die gesamte Persönlichkeit seines Autors wiederspiegelt. Im Gegenteil: Im besten Fall hat er ein klares Profil, und dazu braucht es auch einen klaren Avatar.

(to be continued)

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